Zuletzt aktualisiert am 5. März 2023 um 8:56

Wir reden immer von Klimakrise, aber wir befinden uns in einer Zivilisationskrise. Das Klima hat keine Krise, wir als Zivilisation aber sehr wohl.

Welche Worte man wählt, ist sehr wichtig. Das hat mir Reinhard Steurer, einer der größten Spezialisten, wenn es ums Klima geht, bei einem Vortrag erneut klargemacht. Ein gnadenlos klarer Vortrag, den ich hochemotional verlassen habe und der mir während der Busfahrt nach Hause kurzzeitig Tränen in die Augen getrieben hat.

Trigger-Warnung: der Artikel ist keine einfache Kost. Sei gewarnt – er kann deine Stimmung runterziehen.

Klimawandel – Klimakrise – Zivilisationskrise

Vor 2020 habe ich noch von Klimawandel gesprochen.

2022 bin ich dazu übergegangen, von Klimakrise zu sprechen. Das Wording war mir wichtig, denn einen Klimawandel hat es schon immer gegeben – bis hierhin haben auch die Leugner und Verdränger noch recht.

Der Mensch hat aber – oder genauer, ein Teil unserer Zivilisation – dermaßen in den CO₂-Haushalt der Erde eingegriffen, dass das Wort Klimakrise sehr viel zutreffender ist.

Climate Stripes für Österreich, 1901-2021, (c) Ed Hawkins

Wer obiges Bild noch nicht kennt – es zeigt die Jahres-Durchschnittstemperaturen seit 1901. Der deutliche Anstieg am Ende der Grafik zeigt, was der Mensch in den letzten 50 Jahren durch die Industrialisierung angerichtet hat. Einen dermaßen raschen Anstieg der Temperaturen hat es noch nie gegeben. Eine Tatsache, die Leugner gerne mit den Worten: „Der Mensch nimmt sich zu wichtig, wenn er meint, das Klima beeinflussen zu können!“ wegwischen.

Die fossile Industrie wusste das schon sehr lange, hat diese Erkenntnisse dann aber schnell unter den Teppich gekehrt (→ Total wusste Bescheid: Wie der französische Ölkonzern 50 Jahre lang wider besseres Wissen den Klimawandel leugnete, beschönigte und Maßnahmen bekämpfte – Quelle: Scientists for Future).

Und so werde ich ab sofort – sensibilisiert maßgeblich durch den Vortrag von Reinhard Steurer – das Wort Zivilisationskrise verwenden. Weil es die Situation, in der wir uns nun befinden, sehr viel besser beschreibt.

Wenn wir nicht sofort in die Gänge kommen, wird unsere Zivilisation noch in diesem Jahrhundert ein Chaos erleben, dass sich heute noch niemand vorstellen kann und will.

Wer ist Reinhard Steurer?

Bevor ich meine Emotionen aufarbeite, die in mir während des Vortrages und danach hochgekommen sind, noch ganz kurz ein paar Worte zu Reinhard Steurer.

Reinhard Steurer (* 1971) ist Professor für Klimapolitik an der Universität für Bodenkultur (BOKU) in Wien. Reinhard Steurer spricht Klartext, wenn es ums Klima geht (→ „Ein Verbrechen an der Menschheit, das wir noch bitter bereuen werden“ – Quelle: kurier.at). Kürzlich wurde er auch dadurch bekannt, weil er die letzte Generation gemeinsam mit anderen Wissenschaftern bei einer ihrer Aktionen öffentlich unterstützt hat.

Die Gage, die er für den Vortrag bekam, den ich besucht habe, hat er übrigens der letzten Generation gespendet. „Die können jeden € brauchen.“

Mehr Informationen zu Reinhard Steurer findest du in der Wikipedia.

Was kommt auf uns zu?

„Nur“ 3 Grad (oder mehr)

Je nach Klimamodell steuern wir auf 2-3 Grad Erwärmung zu, die im Pariser Klimaabkommen vereinbarten 1,5 Grad Erwärmung sind realistisch schon so gut wie nicht mehr erreichbar. Das ist mehr oder weniger schon fix, allerdings nur unter der Annahme, dass wir entsprechend gegensteuern.

Danach sieht es im Moment aber nur bedingt aus, denn über Scheinklimaschutz (siehe weiter unten) sind wir noch kaum hinausgekommen.

3 Grad Erwärmung hört sich erst einmal wenig an. Diese Erwärmung ist die durchschnittliche Erwärmung über den ganzen Globus. In Gegenden fernab vom Meer, welches einen großen Ausgleichsfaktor darstellt, wird es noch sehr viel wärmer werden. Für Österreich rechnet man mit einer doppelt so hohen Erwärmung – also 6 Grad.

Um eine Vorstellung zu bekommen, was 6 Grad bewirken können: Die Durchschnittstemperatur während der letzten Eiszeit lag gerade einmal 6 Grad unter jener von heute (→ Wie kalt war die letzte Eiszeit? – Quelle: Bild der Wissenschaft).

Die Menschheit hat einen Knall

Das war nur einer meiner Gedanken, die mir während des Vortrages durch den Kopf geschossen sind. Wie kann man nur dermaßen blind und tatenlos auf eine Katastrophe zusteuern?

Ist es purer Egoismus? Dummheit? Ignoranz? Bewusste Verdrängung als Selbstschutz? Mangelnde Information, weil man im persönlichen Bereich des Lebens schon genug um die Ohren hat? Eine Mischung mehrerer dieser Faktoren?

Am Ende läuft es aber auf das Gleiche hinaus: Wir steuern auf ein unvorstellbares Chaos zu! Mit Dürren, verheerenden Waldbränden, Überflutungen und Hungerkatastrophen, mit Millionen von Toten.

Städte unter Wasser – in 80 Jahren

Städte, wie Hamburg oder Barcelona werden zu großen Teilen unter Wasser liegen. Und nein, das ist kein Hirngespinst oder Panikmache. Das wird genau dann zur Realität, wenn ein großer Teil der Kipppunkte, wie das Grönlandeis, eintreten sollten (→ Eine neue Studie sieht Bremen und Hamburg in 80 Jahren unter Wasser – Quelle: focus.de).

Hamburg unter Wasser – erstellt mit DALL-E

Bei einem Online-Vortrag des deutschen Ethikrates, den ich am selben Tag gesehen habe, hat ein Vortragender mit den Tränen gekämpft, als er von den drohenden Kipppunkten und der drohenden Überflutung Hamburgs noch in diesem Jahrhundert gesprochen hat. Das Unglück ist uns sehr viel näher, als wir alle es wahrhaben wollen.

Nicht „nur“ in Afrika, Pakistan etc. – also weit genug weg, um uns nicht so wirklich zu berühren. Nein, sehr bald, vor unserer Haustür! Die Hochwasser-Katastrophen im Ahrtal, im Oberpinzgau oder in Hallein waren nur ein erster, kleiner Vorgeschmack in Vergleich zu dem, was hier auf uns zurollt.

Dürren und Hungerkatastrophen

Neben Überschwemmungen werden wir es auch vermehrt mit Dürren zu tun bekommen.

Dürre und kaputte Bäume - Zivilisationskrise - nicht Klimakrise
Dürren und Hungerkatastrophen, erstellt mit DALL-E

Wie 2022 in Frankreich zu sehen, wo das Wasser zur Kühlung der Atomkraftwerke fehlte (unter anderem auch deshalb ist Atomkraft keine zukunftssichere Form der Energieerzeugung – von den anderen Problemen einmal abgesehen) oder zum Start des Jahres 2023 mit einer drohenden Rekord-Dürre in Italien (→ Eine Insel im Gardasee erreicht man jetzt zu Fuß – Quelle: faz.net).

In Deutschland kannst du die Entwicklung über den Dürremonitor Deutschland beobachten. Auch hier sieht es alles andere als beruhigend aus.

Was tun wir dagegen?

Scheinklimaschutz

Reinhard Steurer beklagt vor allem den Scheinklimaschutz, der von Parteien und deren Politiker:innen betrieben wird.

Man hält stolz internationale Verträge in die Luft, oft schon im Vorfeld mit dem Wissen, dass man diese nur schwer oder gar nicht einhalten wird können. Man spricht von CO₂-neutral bis 2040, setzt sich auf staatlicher, europäischer und internationaler Ebene (Pariser Klimaabkommen) ambitionierte Ziele.

Aber was bringen all diese Verträge, wenn man sich dann nicht dran hält? Sie dienen höchstens der Gewissensberuhigung! Man würde ja eh alles unternehmen, um das Klima zu schützen. Während man wie von Zauberhand eine Handvoll LNG-Terminals aus dem Boden stampft, muss man aber auf die Genehmigung jedes einzelnen Windrades 10-15 Jahre (!) warten.

Reiner Selbstbetrug, könnte man es auch nennen. Und wie schon erwähnt: Wir schützen nicht das Klima. Wir schützen mit den Maßnahmen unsere Zivilisation. Zivilisationsschutz und nicht Klimaschutz. Zivilisationskrise und nicht Klimakrise (oder noch verharmlosender: Klimawandel)

Pariser Klimaabkommen

Mittlerweile (Anfang 2023) geht man davon aus, dass wir das 1,5 Grad Ziel des Pariser Klimaabkommens nicht mehr erreichen werden. Schon in den ersten Jahren verkacken wir das Ziel katastrophal. In Österreich schaffen wir statt der notwendigen Senkung des CO₂ Ausstoßes von 5 % per anno gerade einmal ein mickriges Prozent und verspielen damit schon jetzt mehr oder weniger jede realistische Chance, das Ziel auch nur annähernd zu erreichen.

Fossile Industrie zerstört den Planeten. Erdkügel mit großen Kränen.
Immer nur her mit den Ressourcen!

Für Deutschland sieht es nicht besser aus. Durch den Kohleabbau in Lützerath verspielt man auch hier schon jetzt jede Chance.

Tempolimit? Es geht um unsere Freiheit!

Wir schaffen es nicht einmal, ein Tempolimit umzusetzen, welches nachweislich den CO₂ Ausstoß massiv senken würde. Man streitet seit ewigen Zeiten, wie viele Tonnen es denn wären, die man einsparen würde und ob sich das überhaupt auszahlen würde. Und überhaupt: Ein Tempolimit würde nicht weniger als „unsere Freiheit der Mobilität einschränken“.

O-Ton des deutschen Umweltministers für Verkehr, Volker Wissing (FDP): „Das Tempo gehört in die Eigenverantwortung der Bürger, solange andere nicht gefährdet werden. Der Staat sollte sich hier zurückhalten.“

Tipp meinerseits: solltest du in Zukunft wegen Schnellfahrens angehalten werden, einfach den Wissing machen!

„Aber mit Hausverstand!“

Von vielen Parteien wird sehr gerne der „Hausverstand“ zitiert, nur um möglichst jede potenzielle Wählerin zu halten, indem man suggeriert: „Passt schon, was ihr macht, da braucht es keine Regeln, wie euch die grünen Ökofaschisten weismachen wollen!“

Wie weit uns das in den letzten 30 Jahren gebracht hat, kann man zum Beispiel am Ausstoß der Treibhausgase sehr gut sehen. Oder an der Auslagerung der Produktion in Billiglohnländer mit Elends langen Transportwegen.

Wir lassen uns sehr gerne weiter belügen. Aus Bequemlichkeit, oder einfach, um das Problem von uns wegzuschieben. Um sich weiter gut fühlen zu können – ganz ohne Einschränkung und Hinterfragen der eigenen Handlungen.

„Der Hausverstand ist ein Trottel!“. Originalzitat von Reinhard Steurer. Der so viel zitierte Hausverstand funktioniert nur bei einfachen Dingen. Geht es aber um komplexere Dinge, wie die Klimakrise, dann stößt er ganz schnell an seine Grenzen.

Selbstbetrug

Der Großteil von uns verschanzt sich immer noch hinter Ausreden. Meint, wenn man ein Schnitzel in der Woche weniger isst, könne man dafür in den Urlaub nach Teneriffa fliegen. Tausche Schnitzel gegen Flug.

Oder man fährt hin und wieder mit dem Bus zur Arbeit und erfüllt sich dann den langersehnten Wunsch nach einem großen Hybrid-SUV, mit dem man dann vorwiegend durch die Wiener Innenstadt kutschiert. „Wenn es irgendwie geht, fahre ich eh mit Öffis!“

Reinhard Steurer nennt das „individueller Scheinklimaschutz“. Man setzt einfache Maßnahmen, die nur sehr wenig bringen, um sich gut zu fühlen. Um dann ohne schlechtem Gewissen an anderer Stelle in die Vollen zu greifen, wie übers Wochenende kurz nach London zu fliegen oder ähnliches.

Wir lassen uns (sehr gerne) täuschen, indem wir jenen glauben, die Klimaneutralität bis 2040 einfach nur mit Technik und Freiwilligkeit ganz ohne Verbote und Einschränkungen versprechen.

Emotion & Depression

Schlaflose Nächte

Wenn jemand wie Reinhard Steurer in seinem Vortrag erwähnt, dass er schon viele Nächte nicht mehr schlafen konnte und kann, seit er sich so intensiv mit dem Klima beschäftigt, sollte jeden von uns zum Nachdenken bringen.

Der Mann ist ein echter Experte und keine dieser Luftnummern, die in Talkshows gerne präsentiert werden, um den Menschen das zu sagen, was sie gerne hören wollen. Dass es eben ausreichen würde, einfach nur den „Hausverstand“ einzusetzen. Und dass erst „die da oben“ in die Gänge kommen müssten, bevor sie den kleinen Bürger gängeln wollen.

Hoch emotional

Für immer mehr von uns wird die Zivilisationskrise zu einem großen Problem. Beginnend mit schlaflosen Nächten, über Wutausbrüche und Trauer bis zur Depression.

Ich kann die Verzweiflung der letzten Generation sehr gut verstehen. Die leeren Versprechungen vieler Politiker mit ihrer Scheinklimapolitik, dem Greenwashing von Unternehmen (immer, wenn ich die Werbung des Kreuzfahrtunternehmens mit der angestrebten CO₂ – Neutralität höre, zucke ich innerlich aus), dem Selbstbetrug eines jeden einzelnen, der mit dem Finger nur allzu gerne auf andere zeigt, statt endlich selber in die Gänge zu kommen.

Erzähle das deinen Kindern am Totenbett. „Sorry, Kids, tut mir echt leid, aber ich hatte ja nur dieses eine Leben und ihr müsst schon verstehen, dass ich das auch genießen wollte. Außerdem waren die anderen noch sehr viel schlimmer.“

Zivilisationskrise – sind wir verloren?

Das klingt jetzt alles sehr dystopisch. Und ja, so bitter es klingt, aber wenn wir so weitermachen, dann wird auch das von vielen (halbwegs) sicher geglaubte Europa in einem Chaos unvorstellbaren Ausmaßes versinken. Selbst wenn du schon etwas älter sein solltest – deine Kinder oder spätestens deine Enkel werden davon betroffen sein.

Noch ist nicht klar, welche der Kipppunkte wirklich erreicht werden und genau aufgrund dieser Unsicherheiten, ist es so wichtig, jetzt alles zu tun, um den Anstieg der Temperatur so niedrig als möglich zu halten. Jedes ⅟10 Grad kann und wird sehr viel ausmachen.

Und ich?

Traurig

Für mich ist das alles oft schwer zu ertragen. Wie eingangs erwähnt, habe ich auf der Nachhause-Fahrt vom Vortrag von Reinhard Steurer beim Gedanken an die Zukunft meiner Kinder nasse Augen bekommen. Auch gerade jetzt wieder, beim Schreiben dieser Zeilen …

Wütend

Und ja, ich werde zunehmend wütend, wenn ich Leute von ihren geplanten Urlaubsreisen höre. Weil sie für mich mit dran Schuld sind, wenn es meinen Kindern später schlechter geht. Andererseits will ich auch nicht zum verbitterten, alten Trottel werden, dem Grantler, dem man besser aus dem Weg geht, weil er einem eh nur immer die Stimmung versaut.

Was mir hilft

Was mir hilft: dass wenigstens ich selber versuche, so nachhaltig als möglich zu leben. Ins Tun kommen, statt immer nur zu reden. Bewusst keine Flugreise mehr zu unternehmen, möglichst viel Gemüse saisonal und regional zu beziehen, einen Teil davon im eigenen Gewächshaus anzubauen.

Mich mit Leuten zu treffen, denen ein enkelgerechtes Verhalten ebenso wichtig ist und mich zunehmend politisch zu betätigen.

Ein Vorbild für andere sein und damit auch zeigen, dass Verzicht nichts Schlechtes per se ist, sondern die Lebensqualität durchaus verbessern kann. Am Ende meines Lebens will ich zu jenen gehören, die mehr getan haben, als der Durchschnitt. Nicht zu jenen, die auf den technischen Fortschritt gewartet und ja eh viel mehr getan hätten, als die schlimmsten Verschmutzer.

Wie geht es dir beim Gedanken an die Zukunft? Schreib es mir gerne in die Kommentare!