Zuletzt aktualisiert am 25. April 2024 um 17:30

Ein Kreuzfahrtschiff als Blauer Engel mag dir als Titel jetzt komisch erscheinen. Zumindest dann, wenn du das Umweltzeichen Blauer Engel nicht kennen solltest. Oder möglicherweise umso mehr, falls du sie doch kennen solltest. Klingt jetzt verwirrend? Okay, alles der Reihe nach.

Ich bin ein absoluter Gegner von Kreuzfahrten, weil ich diese Form der Freizeitgestaltung für die mit Abstand schmutzigste Art des Reisens halte. Das vielleicht gleich einmal vorweg.

Als Fan dieser Art des Urlaubes wirst du mich am Ende dieses Artikels (oder schon jetzt) also möglicherweise hassen. Oder etwas besser verstehen, warum ich kein Fan dieser Art des Reisens bin. Dieser Artikel liefert dir einige Hintergründe zur Kreuzfahrt-Industrie und deren Auswirkungen auf die Umwelt.

Darf ein Reiseblogger von Kreuzfahrten schwärmen?

Frage eines Bloggers zum Thema Kreuzfahrt

Vor einiger Zeit ist es in einer Facebook-Gruppe von Reisebloggern zu einer etwas kontroversen Diskussion zum Thema „nachhaltige Kreuzfahrtschiffe“ gekommen. Auslöser war die Frage eines Blogger-Kollegen, ob man in Zeiten des Klimawandels und dem verstärkten Augenmerk auf Umweltschutz und Nachhaltigkeit noch mit gutem Gewissen ein Blog zum Thema Kreuzfahrten betreiben kann. Man macht dadurch ja noch mehr Leuten Kreuzfahrten schmackhaft, was dem Umweltschutzgedanken entgegen sprechen würde.

Normalerweise halte ich meine Kritik in Bezug auf Kreuzfahrten zurück. Es gibt schon genügend Themen, auf die ich anspringe („Migranten sind an allem schuld“ und „Greta ist eine dumme und verwöhnte Göre“). Aber wenn jemand direkt fragt, dann ist das natürlich ein Trigger für mich.

Ich bin getriggert

Meine erste Stellungnahme war dann dementsprechend offensiv und hat wie folgt begonnen:

„Blog mit Schwerpunkt Kreuzfahrt? Bitte entschuldige meine brutale Wahrheit: Ich persönlich würde ihn einstellen! Die Kreuzfahrt ist im Bereich Reisen das mit Abstand Schlimmste, was der Umwelt angetan werden kann. Bitte auch den Rest nicht persönlich nehmen, Kreuzfahrtschiffe sind für mich einfach ein Reizthema.“

In weiterer Folge habe ich dann meine negative Einstellung zum Thema Kreuzfahrt begründet und bin auch auf viele Anmerkungen von anderen Bloggern eingegangen. Ja, bei so einem Thema sollte man mich nicht (unbewusst) anstupsen!

Logischerweise hat das Thema schon auch polarisiert. Nicht nur aufgrund meiner Antwort. Gefühlt haben sich auch einige in Zurückhaltung geübt. Dazu muss man wissen, dass es in dieser Facebook-Gruppe im Vergleich zu anderen Gruppen wirklich sehr gesittet zugeht und diese von gegenseitiger Wertschätzung geprägt ist.

„Kreuzfahrt-Industrie tut sehr viel für Umweltschutz“

Einige waren sehr darum bemüht, hervorzuheben, wie nachhaltig die Kreuzfahrt mittlerweile geworden ist. Mit einigen Beispielen, was die Kreuzfahrt-Industrie schon alles tun würde, um die Umwelt zu schonen. In weiterer Folge gehe ich auf alle genannten Beispiele (Blauer Engel, LNG, Scrubber, Landstromanlage) näher ein.

Denn all diese Maßnahmen klingen auf den ersten Blick ja sehr positiv und könnten so schnell den Eindruck erwecken, dass eine Kreuzfahrt ja wirklich kein Problem für die Umwelt darstellen würde. Aber diese Maßnahmen klingen nur dann gut, wenn man nicht näher hinsieht.

Kreuzfahrtschiffe sind Blaue Engel

Was ist das Umweltzeichen „Blauer Engel“?

Der Blaue Engel ist ein Umweltzeichen des deutschen Umweltbundesamtes und soll Produkte kennzeichnen, die in Bezug auf Nachhaltigkeit besonders gut abschneiden. Der Blaue Engel soll dem Konsumenten damit ein einfach zu verstehendes Hilfsmittel in die Hand geben, wenn er sich nachhaltig verhalten will. Über 12.000 Produkte und Dienstleistungen hat das deutsche Umweltbundesamt laut eigenen Aussagen schon mit dem Blauen Engel ausgezeichnet.

Kein Blauer Engel
Kein Blauer Engel

Auf den Seiten des Blauen Engels ist unter anderem zu lesen: „… können Sie sicher sein, etwas Gutes für sich, die Umwelt und die Zukunft zu tun.“ Und weiter: „Er zeichnet Produkte und Dienstleistungen aus, die in einer ganzheitlichen Betrachtung besonders umweltfreundlich sind und zugleich hohe Ansprüche an Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie an die Gebrauchstauglichkeit erfüllen.“

Und so etwas sollte ein Kreuzfahrtschiff wie die AIDAnova allen Ernstes erfüllen? Nein, das wollte ich im ersten Moment einfach nicht glauben und habe deshalb weiter recherchiert.

Ein Blauer Engel für ein Kreuzfahrtschiff

Wenn man die Definition des blauen Engels liest, dann passt diese für mich ganz und gar nicht zu einer Kreuzfahrt. „… sicher sein, etwas Gutes für sich, die Umwelt und die Zukunft zu tun!“.

Mit einer Kreuzfahrt für die Umwelt etwas Gutes tun? Für sich und die Zukunft? Ist das wirklich die Meinung des deutschen Umweltbundesamtes? Tut mir leid, lieber Engel, aber damit machst du dich aus meiner Sicht mehr als lächerlich! Diesen Schuh (brauchen Engel eigentlich Schuhe?) musst du dir anziehen!

Wie es zu so etwas Abstrusen kommen kann, habe ich dann in diesem Artikel gefunden: Kreuzfahrt auf der Aidanova: Blauer Engel für einen Ozeanriesen?

In diesem Artikel wird unter anderem erwähnt, dass der Blaue Engel immer im Vergleich zu anderen in der Branche zu sehen ist. Und deshalb punktet die Aidanova im Vergleich zu den mit Schweröl betriebenen Schiffen natürlich ungemein. Und schon fliegt der Blaue Engel zur Gewissensberuhigung aller Kreuzfahrenden, mit Schiffen mit, die nicht mit Schweröl die Luft maximal verpesten.

Tut mir leid, mir persönlich kommt da das kotzen. Wenn man schon unbedingt eine Kreuzfahrt machen will, dann soll man dazu stehen, dass man auf dieser Reise dem Klima eben nichts Gutes tut. Aber sich selbst (und andere) mithilfe eines Blauen Engels zu belügen, finde ich lächerlich. Das ist für mich Greenwashing in Reinkultur.

Kreuzfahrtschiffe und der Umweltschutz

Kreuzfahrtschiffe würden „alles tun, um die Umwelt so wenig als möglich zu belasten“, war eine der verteidigenden Aussagen zum Thema Kreuzfahrt in unserer Diskussion. Dabei sind sehr viele Schlagworte gefallen. Wie zum Beispiel, dass die meisten Kreuzfahrtschiffe bereits mit dem umweltfreundlichen LNG fahren oder zumindest Scrubber einsetzen würden. Und in den Häfen natürlich Landstromanlagen nutzen.

Das umweltfreundliche LNG

Nur weil Kreuzfahrtschiffe jahrelang wie die größten Schweine mit Schweröl gefahren sind (und es großteils nach wie vor tun), sind sie jetzt mit Flüssigerdgas (LNG) noch lange nicht die ganz Braven. LNG ist mit Diesel vergleichbar, also alles andere als gut für das Klima.

LNG steht übrigens für „liquefied natural gas“ – also flüssiges Erdgas.

Ich kann mich noch sehr gut an meine erste Fahrt von Kiel nach Oslo erinnern, als ich geglaubt habe, „Shit, jetzt haben wir einen Motorschaden!“. Nein, das Schiff war nur weit genug am Meer draußen und sie haben den Antrieb auf Schweröl umgestellt.

Fährschiffe - auf hoher See fährt man mit Schweröl. Von wegen Blauer Engel!
Fährschiffe – auf hoher See fährt man in der Regel mit Schweröl

Viele Schiffe, die mit LNG werben, nutzen dieses nur in den Häfen und in ausgewiesenen Schutzregionen. Ansonsten wird „sparsam“ mit Schweröl gefahren.

Von den weltweit rund 400 Kreuzfahrtschiffen fuhren in 2022 übrigens nur sechs mit LNG-Antrieb. Es wird erwartet, dass bis 2024 weitere 24 LNG-Kreuzfahrtschiffe folgen werden. Und noch einmal: LNG ist von der Umweltbelastung mit Diesel vergleichbar.

Scrubber filtern Feinstaub und Schadstoffe

Kreuzfahrtschiffe stoßen Schadstoffe, wie Kohlendioxid, Schwefeldioxid, Stickoxide und Feinstaub aus. Scrubber sollen diese Schadstoffe und Feinstaubpartikel aus der Luft filtern.

Das tun sie zum Teil auch. Aber eben nicht ganz. Laut einer Doku, die im ersten deutschen Fernsehen gezeigt wurde, bleibt vor allem Ultra-Feinstaub übrig. Das konnte durch entsprechende Messungen nachgewiesen werden. Ultra-Feinstaub ist dabei besonders gefährlich für die Lunge. (Quelle merkur.de: ARD-Doku: Wie gefährlich sind Kreuzfahrtschiffe wirklich für Gesundheit und Umwelt?)

Was noch dazu kommt: Scrubber verwenden Meerwasser, mit dem sie die Abgase besprühen, um damit die Schadstoffe aus den Abgasen zu extrahieren. Nach einer weiteren Aufbereitung wird dann das Wasser wieder ins Meer zurückgeleitet.

Details zu den Messungen findest du auf den Seiten des deutschen Naturschutzbundes unter: NABU misst Luftverschmutzung in Häfen.

Landstromanlagen zum Schutz der Hafen-Anwohner

Jedes Kreuzfahrtschiff ist so etwas wie ein kleines, mobiles, fossiles Kraftwerk für eine Kleinstadt. Und verpestet damit die Luft. Die Anwohner in den Häfen leiden immer mehr an den „anlegenden Kleinstädten“ mit 5000 Passagieren aufwärts (Aidanova und Costa Smeralda: je 6600 Passagiere).

Um die Belastung der Luft in den Häfen so niedrig als möglich zu halten, verfügen erste Häfen über Landstromanlagen. Das Schiff erzeugt den Strom dann nicht selbst, sondern nutzt den Strom, den der Hafen anbietet. So weit, so gut.

Nur verfügen eben noch nicht sehr viele Häfen über die notwendige Infrastruktur und wenn, dann wird diese oft nicht eingesetzt. Warum? Ganz genau einmal darfst du raten. Klar – der Strom ist zu teuer! Solange es für Schiffe keinen Zwang gibt, solche Anlagen auch zu nutzen, werden die Anwohner weiterhin unter der erhöhten Schadstoffbelastung leiden müssen.

Ein paar Zahlen

Wie sehr Kreuzfahrtschiffe die Umwelt belasten, will ich dir an dieser Stelle aufgrund von ein paar Zahlen etwas näherbringen.

Laut NABU stößt ein Kreuzfahrtschiff pro Tag so viel Kohlendioxid aus, wie 84.000 PKWs. So viel Stickoxide wie 420.000 PKWs und so viel Feinstaub wie ca. 1 Million Autos. Ein mit Schweröl betriebenes Kreuzfahrtschiff stößt gar so viele Schadstoffe aus, wie 5 Millionen PKWs. (Quelle travelbook.de: NABU-Kreuzfahrt-Ranking 2019)

Die Schadstoffbelastung durch Feinstaub liegt im Hamburger Hafen beim bis zum 50-fachen einer stark befahrenen Verkehrskreuzung. (Quelle nabu.de: Luftschadstoffmessungen Hamburger Hafen)

Na? Immer noch mit gutem Gewissen auf zur nächsten Kreuzfahrt?

Was Kreuzfahrtschiffe sonst noch so treiben

Nachhaltigkeit bezieht sich nicht nur auf Umweltaspekte. Nachhaltigkeit beinhaltet auch wirtschaftliche und soziale Aspekte. Details dazu: Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit.

Mitarbeiter

In Bezug auf Mitarbeiter wissen Reedereien auch nicht gerade zu glänzen. Die meisten Schiffe (auch deutscher) Reedereien melden ihr Schiff im Ausland an. (Quelle zeit.de: Kreuzfahrten: Billig unter fremder Flagge)

Warum tun sie das? Weil sie dann nicht an den einheimischen Kollektivvertrag gebunden sind und sich problemlos mit Billigst-Arbeitskräften eindecken können. Mit Stundenlöhnen unter 3 €. Stellungnahme der Reedereien dazu: Diese Leute verdienen in ihrem Heimatland oft viel weniger, deshalb sei so eine Bezahlung mehr als fair.

Zusätzlich sparen die Reedereien durch ihre Anmeldung im Ausland auch sehr viel Steuern.

Landgang

Laut einer Doku (habe leider den Titel dieser Doku vergessen) sind Reedereien auch vor Ort in den Häfen bestens organisiert. So werden Ausflüge häufig von den Reedereien bzw. „befreundeten“ Busunternehmen durchgeführt. Einheimische Unternehmen vor Ort oder lokale Taxi-Lenker profitieren demnach nicht / kaum von den Landgängen.

Kreuzfahrtschiff in Olden, Norwegen
Eher kleines Kreuzfahrtschiff (1.420 Passagiere) in Olden, Norwegen

Ein Taxi-Lenker in Norwegen hat mir einmal erzählt, dass ihnen untersagt wird, in den Hafen einzufahren, um in keinen Konflikt mit den Reedereien zu kommen. Ein ehemaliger Arbeitskollege von mir konnte aber zumindest genau für Olden (also woher ich die Information bekommen habe) diese Praxis nicht bestätigen.

Dazu kommt, dass die Landgänge von einer dermaßen hohen Anzahl an Passagieren für die Bevölkerung eine ziemliche Belastung darstellen können. Stichwort Overtourism – zu viel des Guten.

Mein Fazit

Der Verzicht auf Kreuzfahrten ist für mich persönlich keine wirkliche Herausforderung, da ich ohnehin noch nie ein Fan von Kreuzfahrten gewesen bin.

Worauf ich aber verzichten kann, ist zum Beispiel die Fährüberfahrt Kiel-Oslo, wenn ich wieder einmal nach Norwegen will. Die für mich immer sehr faszinierende Einfahrt in den Oslo-Fjord werde ich dann halt nicht mehr genießen können. Umweltschutz bedeutet, die eigenen Verhaltensweisen zu hinterfragen. Das resultiert häufig auch darin, auf Dinge verzichten zu müssen, die man sonst eigentlich gerne tun würde. Umweltschutz ist nicht immer nur bequem. Das hat aber auch nie jemand behauptet.

Aber oft ist es so, dass ein Verzicht auf die eine Sache (wie zum Beispiel nach Mallorca zum Wandern zu fliegen) erst die Augen für etwas Neues öffnet. Wie zum Beispiel für eine Wanderung direkt aus der eigenen Haustür hinaus nach Innsbruck.

Ich für mich fasse meinen aktuellen Status so zusammen: Ich kann nicht perfekt sein, aber ich werde alles tun, um besser zu werden. Und dazu gehört definitiv auch der Verzicht auf gewohnte und bisher geliebte Dinge. Oder auf Dinge, die ich noch gerne machen würde, die der Umwelt aber zu sehr schaden.

Eine ganz große Dummheit zum Schluss, ich nenne es DAK – die Dümmste Anzunehmende Kreuzfahrt. Nachzulesen unter Kreuzfahrtschiff wird Seniorenresidenz – Rentner schon bald auf großer Fahrt. Das erinnert mich an das nach großen Protesten wieder aus dem Netz genommene Satire-Lied vom WDR „Meine Oma ist eine Umweltsau!“.