Lösungsansätze für Overtourism beschäftigen die Tourismusbranche schon sehr lange. Beim Castlecamp 2018 auf der Burg Kaprun habe ich dazu eine Session gehalten bzw. moderiert.
Eine Zusammenfassung dieser äußerst interessanten Diskussion findest du im Artikel Overtourism Diskussion beim Castlecamp 2018.
Und dann kam im März 2020 Corona und diverse Lockdowns. Ein abruptes Ende des Overtourism. Allerdings nur vorübergehend, auch wenn manche die Hoffnung hegten, dass in geplagten Städten und Orten eine Art Umdenken stattfindet. Weg vom Massentourismus, hin zum Qualitätstourismus. Klasse statt Masse sozusagen.
Der größte Teil dieses Artikels ist schon vor Corona entstanden und ist nun ein paar Jahre unveröffentlicht geblieben. Wäre ja auch eigenartig gewesen, während eines Lockdowns einen Artikel zu Overtourism zu veröffentlichen. Aber jetzt hat er wieder an Aktualität gewonnen, weil der Mensch scheinbar nur bedingt lernfähig ist.
Ich hab den Artikel selbstverständlich da und dort auch aktualisiert.
Inhalt
Overtourism – ein kurzer Überblick
Das Thema Overtourism, dessen Auswirkungen und etwaige Lösungsansätze beschäftigen mich schon sehr lange. So habe ich dazu schon 2017 einen Artikel mit dem Titel Overtourism – Zu viel des Guten geschrieben. Deshalb an dieser Stelle nur ein sehr kurzer Überblick zur Problematik.
2018 hat es ca. 1,3 Milliarden Touristen weltweit in andere Länder zur Erholung getrieben, für 2030 rechnet man mit 1,8 Milliarden. Der Flugverkehr soll sich bis 2040 mehr als verdoppeln, auch die Kreuzfahrtindustrie will weiter massiv wachsen. Manche Orte leiden aber schon jetzt unter den Menschenmassen. Nicht unbedingt Hoteliers und Wirtschaftstreibende, aber die Bevölkerung. Und genau das wird immer mehr zum Problem.
Auswirkungen von Overtourism
Staus auf den Straßen und in den Gassen
Zu viele Touristen reisen nach wie vor mit dem eigenen Auto an, was zu Staus und damit auch einer erhöhten Abgasbelastung führt. Aber auch Busse werden zu einem Problem, wenn diese in zu großer Zahl in einen Ort kommen. Hier sind es nicht nur die Busse selbst, sondern auch die Masse an Leuten, die zu gleichen Zeit in einen Ort strömen. Das gilt gleichermaßen für Kreuzfahrtschiffe, die immer größer werden und so immer mehr Menschen gleichzeitig an einen Ort bringen.
Viele Orte bieten für Touristen Gästekarten an, mit denen sie zum Beispiel viele Bergbahnen kostenlos nutzen können. Was mancherorts dann auch zu einer heillosen Überfüllung führt, unter der auch Einheimische leiden, die den vollen Preis zu bezahlen haben.
Wohnungspreise & Wohnungsnot
Tourismus wird auch als einer der Preis treibenden Faktoren für Wohnungen gesehen, Stichwort AirBNB. Statt Wohnraum dauerhaft zu vermieten, gibt man Wohnraum lieber an Touristen ab, von denen man locker das 3-fache nehmen kann, in der Hauptsaison auch gerne mehr.
Abfall und Wassermangel
Viele Menschen, viel Müll. Und es gibt auch immer wieder diese asozialen Zeitgenossen, die meinen, dass sie ja in Urlaub sind und dass „da eh schon so viel Müll herumliegt“, dass es nun wirklich egal wäre, wenn man den eigenen Müll locker lässig in den Straßengraben wirft. Nein, ist es nicht!
Und noch so ein Urlaubs-Phänomen: beim Duschen lässt man es sich so richtig gutgehen und steht ewig in der Dusche. Schließlich kostet das Wasser ja nichts bzw. hätte man es ja sowieso bezahlt. Warum also wie Zuhause sparen? Wie? Hier herrscht Wassermangel? Nicht mein Problem, bin dann eh wieder weg!
Mein Lieblingsfeind – die Kreuzfahrtsindustrie
2023 übertrafen die Passagierzahlen nach einer durch Corona bedingten Flaute das Rekordjahr 2019 und es ist kein Ende in Sicht. Die Schiffe spülen sehr viel Geld in die Hafenstädte und auch in Regionen, die stark vom Tourismus abhängen.
Aber es hat eben alles seine Grenzen. Spätestens, wenn die Bevölkerung massiv unter den Massen zu leiden beginnt, die mehr oder weniger gleichzeitig in eine Stadt strömen, sollte man die Notbremse ziehen. So, wie es Venedig getan hat, indem es das Anlegen größerer Schiffe seit August 2021 untersagt und seit 2024 auch Eintritt von Tagestouristen verlangt.
Lösungsansätze für Overtourism
Wie kann man die positiven Auswirkungen des Tourismus und dessen teilweise negativen Auswirkungen durch Overtourism unter einen Hut bringen? Denn Einheimische sollten sich auf Touristen freuen können und keinen Zorn auf jeden Erholungssuchenden entwickeln („Tourists go home!“).
Hier einige Lösungsansätze, die unter anderem auch in der Session beim Castlecamp Kaprun diskutiert wurden.
Verbesserte Infrastruktur
Eine gut ausgebaute Infrastruktur (genügend Toiletten, Mülltonnen, …) kann die Auswirkungen in jedem Fall in gewissem Maß eindämmen. Platzt ein Platz aus allen Nähten, so kann auch ein Ausbau helfen.
Ein gutes Beispiel für mich sind hier zum Beispiel die Trollstigen in Norwegen. Vor dem Umbau konnten teilweise kaum noch Autos durch, wenn die Straße wieder einmal links und rechts zugeparkt wurde. Gutes Beispiel deshalb, weil ich der Meinung bin, dass man hier erfolgreich versucht hat, Natur und (Massen-)Tourismus in Einklang zu bringen.
Klar – der liebliche Charakter mit den kleinen Souvenierhütten ist verschwunden. Trotzdem hat sich der Architekt offensichtlich viele Gedanken gemacht, das neue Trollstigen Center so gut als möglich in die Natur zu integrieren und trotzdem für genügend Parkplätze zu sorgen. Die Parkplätze sind zum Beispiel nicht zu sehen, wenn man von der Aussichtsplattform zum Wasserfall wieder zurückgeht (siehe Bild).
Neben dem Problem mit den fehlenden Parkplätzen ist nun auch das Problem mit dem Mangel an Toiletten behoben. Das Schild, welches darauf hingewiesen hat, dass Pinkeln neben der Souvenierhütte mit 5000 NOK (ca. 520 €) bestraft wird, ist verschwunden. Die Höhe der Strafe lässt vermuten, dass das ein wirklich großes Problem dargestellt hatte.
Lenken des Touristenstromes
Andere Orte setzen darauf, dass man andere Ziele versucht, schmackhafter zu machen. So hat ein einfaches Umbenennen eines Badestrandes in Amsterdam dazu geführt, dass dieser von Touristen inzwischen viel mehr besucht wird. Es gibt ein „Lenkungsprogramm“, welches sich „City in Balance“ nennt. Einen ausführlichen Artikel dazu findest du im Standard: Amsterdam: mit kreativen Methoden gegen Touristenmassen.
Auch Smartphone Apps werden eingesetzt, um den Touristenstrom gezielt zu lenken. Das kann aber nur dann funktionieren, wenn man die Touristen vor Ort auch gut zählen kann. Bei Attraktionen in der Stadt, wo es einen expliziten Eingang gibt, ist das schon jetzt gut machbar.
Mithilfe von Apps können sich Touristen zum Beispiel auch über potenzielle Wartezeiten an der Kassa oder am Eingang schon im Vorfeld selbst darüber einen Eindruck verschaffen, was sie vor Ort einer Sehenswürdigkeit erwartet.
Der Überfüllung der Getreidegasse in der Salzburger Altstadt will man durch das Bewerben anderer Ziele am Stadtrand (zum Beispiel Hellbrunn) entgegenwirken. Wobei in Hellbrunn auch nicht wenig los ist.
Der Salzburger Stadt-Tourismus hat ein System eingeführt, um die hohe Anzahl der in die Stadt fahrenden Busse unter Kontrolle zu bringen. So dürfen Reisebusse nur noch mit Berechtigung in die Stadt fahren (es gibt ein eigenes Portal im Internet dafür) und bekommen dabei einen Ein-/Ausstiegsplatz zugewiesen. Neben der Paris-Lodron-Straße gibt es nun ein 2. Busterminal in Nonntal. Die Busse bekommen dabei auch nur einen 20 Minuten-Slot und dürfen nicht dauerhaft auf einem der Terminals stehen bleiben.
Genereller Einwand zum Lenken des Touristenstromes: ist das nicht nur eine Verschiebung des Problems in andere Regionen bzw. weiter in die Zukunft? Denn irgendwann werden auch die Randgebiete verstopft sein.
Mengenmäßige Beschränkungen
In Sardinien gibt es schon seit einiger Zeit mengenmäßige Einschränkungen, die Gebühren wurden erhöht. Auch in Geiranger in Norwegen hat man die Anzahl der Fährschiffe pro Tag auf 3 begrenzt.
Sehr interessant fand ich den Vorschlag beim Castlecamp, dass man Urlaubskontingente in Form einer CO₂ Card einführen könnte. „Gute Idee“ war zu hören. Als ich dann aber ganz konkret die Frage gestellt habe, wer denn so eine Einschränkung für sich selbst akzeptieren würde, wurde es eher still im Raum und die Hände blieben unten.
Aufhören zu bauen
Klingt so einfach, aber in der Praxis ist das gar nicht so einfach: endlich damit aufhören, Hotels auszubauen oder weitere Hotels und Chalet-Dörfer zu bauen und immer noch mehr Boden zu versiegeln! Das Totschlagargument „Aber die Arbeitsplätze!“ zieht leider noch immer bei so manchen Dorf-Chefs und so werden nach wie vor Hotels aus- und zugebaut.
Handabdruck
Neben dem Fußabdruck gibt es noch den sogenannten Handabdruck. Damit ist gemeint, die Hand zu heben – also Missstände aufzuzeigen und dagegen auf die Straße zu gehen und zu demonstrieren.
Gerade aktuell im Jahr 2024 haben viele Menschen auf den Kanaren nun endgültig die Schnauze voll von Umweltzerstörung, Staus und Wohnungsnot. Um die 20 Bürgerinitiativen mit dem Namen „Die Kanaren haben genug“ haben sich mittlerweile zusammengeschlossen. Sie protestieren vor dem Parlament, manche gehen gar in den Hungerstreik.
Man fordert den Baustopp für Hotels und Golfplätze und eine zumindest teilweise Abkehr vom Tourismus, indem man in Zukunft mehr in Industrie und Landwirtschaft investiert. (Quelle: Salzburger Nachrichten)
Bessere Kennzahlen verwenden
Aktuell heißt es: Nächtigungszahlen über alles! Liest man über messbare Erfolge im Tourismus, dann fast immer nur im Zusammenhang mit der Anzahl der Nächtigungen. Und das führt dazu, dass man versucht, immer mehr Gäste anzulocken, um eben in diesen Nächtigungsstatistiken vorne dabei zu sein. Schließlich will man am Ende des Jahres als erfolgreich und als möglichst beliebteste Region gelten. Und da zählt ein hoher Auslastungsgrad nach wie vor zu der Kennzahl für Erfolg schlechthin.
Welche Zahlen besser geeignet wären, um den „Erfolg“ bzw. die Beliebtheit einer Region zu bestimmen, ist gar nicht so einfach zu definieren. Denn „weiche Zahlen“, wie die Zufriedenheit der Gäste und auch der Einheimischen, die man anhand einer Umfrage bestimmen könnte, sind in der rauen Welt der Wirtschaft nicht wirklich etwas, das zu zählen scheint.
Fazit
Das Problem Overtourism existiert in manchen Regionen schon sehr lange. Mittlerweile sind aber immer mehr Orte davon betroffen, da sich immer mehr Menschen das Reisen leisten können.
Lösungen in Form von Beschränkungen zu finden, ist sehr schwierig, weil es immer welche geben wird, denen man am Ende damit Geld wegnimmt. Und dagegen gibt es erfahrungsgemäß oft massiven Widerstand.
Sicher ist aber auch: Nichtstun ist auch keine Lösung, denn sonst gehen die Leute wie in Barcelona irgendwann auf die Straße, um gegen Touristen zu demonstrieren. Am Ende verlieren dann alle – Touristen und Einheimische.
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