Zuletzt aktualisiert am 7. April 2021 um 10:07
Bildbearbeitung in der Fotografie – was ist alles erlaubt? Diese Frage stellt sich früher oder später jede(r), der oder die sich näher mit Bildbearbeitung beschäftigt oder die Fotos ausgehend vom RAW-Format bearbeitet.
Kürzlich zeigt mir eine sehr gute Bekannte ein Bild einer ihrer Instagram Freundinnen und meint: „Die Sabine macht ja wirklich super Bilder … aber schau dir das mal an … das hat mit Wirklichkeit nichts mehr zu tun … so stark bearbeitet … oder wie siehst du das als Fotograf?“
Ich halte es immer für ungemein interessant, wo andere Fotografen die „Grenzen des Erlaubten“ bei der Bildbearbeitung sehen. Und so nehme ich diese Frage zum Anlass, mich mit diesem Thema wieder einmal etwas näher auseinanderzusetzen.
Inhalt
Wie wirklich ist die Wirklichkeit?
Das fragte sich schon Paul Watzlawick in seinem Bestseller: Wir wirklich ist die Wirklichkeit? Wahn, Täuschung, Verstehen.
- Watzlawick, Paul (Autor)
Letzte Aktualisierung 2024-11-21 / Affiliate Links / Bilder Amazon Product Advertising API
Was versteht man unter Wirklichkeit im Rahmen der Fotografie? Gibt es eine solche überhaupt?
Ein Schnappschuss einer dreidimensionalen Landschaft lässt sich ja ohnehin nur bedingt zweidimensional abbilden. Und dann fehlen dem Bild auch noch der Geruch des Waldes, das Rauschen der Blätter, das Zwitschern der Vögel oder der Wind, den man auf der Haut spürt. Allesamt Emotionen und Wahrnehmungen, die ein „virtuelles Bild“ im Kopf formen können, aber eben am Ende am Foto fehlen.
Die Stimmung einfangen – Emotionen
Warum ich das erwähne? Weil ich persönlich schon beim Fotografieren versuche, die Stimmung möglichst gut einzufangen. Was nimmt mich in der aktuellen Situation besonders gefangen? Welche Emotionen sind es, die die Landschaft bzw. das Motiv in mir auslösen? Mit welchem Bildausschnitt, mit welcher Perspektive und mit welcher Schärfentiefe kann ich das dem späteren Betrachter am besten vermitteln?
Das klingt jetzt alles verdammt abgehoben und das ist es möglicherweise sogar auch. Und es klappt auch nicht immer, das entsprechend umzusetzen. Aber ich versuche es und bin davon überzeugt, dass das sehr wohl die Qualität der Bilder verbessern kann.
Oft gelingt mir das Einfangen einer bestimmten Stimmung nur mit einer Bildfolge, wie ich das in meinem Artikel Frühling am Fuschlsee im Salzburger Land zeige.
Die Kamera und der Sensor
Keine Angst – nur ganz kurz der Vollständigkeit halber. Das hilft ein wenig beim Verständnis über die „Wirklichkeit“ beziehungsweise deren Abbildung im Speicher der Kamera.
Digitalkameras und Smartphones speichern ein Bild anhand eines Sensors als einzelne Bildpunkte ab. Man kann diese Pixel 1:1 speichern lassen (im sogenannten RAW-Format, was nicht alle Kameras beherrschen und derzeit nur wenige Smartphones) oder als komprimiertes (mit Verlusten verkleinertes) Bild im JPG-Format.
Das Licht kommt durch die Linse bzw. das Objektiv, wo zum ersten Mal an der Wirklichkeit gedreht wird. Denn ob du mit einem Weitwinkel oder Tele fotografierst, ändert den Bildeindruck massiv. Dann gelangt das Licht auf den Sensor, welcher dieses quasi in Pixel umwandelt. Mehr oder weniger gut. Hier wird also schon wieder an der Wirklichkeit gedreht.
RAW und JPG-Format
Und wenn du das Bild im JPG-Format speicherst, passiert mit dem Bild noch mehr. Je nach Einstellungen in der Kamera wird es geschärft und an den Farben manipuliert. Auch der Weißabgleich passiert in der Regel automatisch, was den Gesamteindruck des Bildes weiter beeinflusst. Instagrammer bearbeiten ihr Bild dann auch gerne weiter nach oder legen Filter drüber. „… hat mit Wirklichkeit nichts mehr zu tun …“ sagt man aber gerne nur dann, wenn man oder frau es gefühlt etwas übertreibt – siehe Aussage am Beginn des Artikels.
Speicherst du dein Bild im RAW-Format, kannst du später in der Bildbearbeitung sehr viel mehr beeinflussen, ohne dass die Qualität darunter leidet. Du legst den Weißabgleich, die Sättigung der Farben, wie sehr du (nach)schärfen willst etc. alles erst danach am heimischen PC fest. Du hast so sehr viel mehr in der Hand, wie das Bild am Ende wirkt. Das war es dann wohl endgültig mit der Wirklichkeit, oder? Denn jetzt bestimmst alleine du, welche Wirkung das Bild entfalten soll.
Bildbearbeitung – was darf ich?
Alles. Oder fast nichts. Das kommt immer auf die Zielgruppe an!
Von möglichst authentisch bis zu Fotomontagen kann alles erlaubt sein. Wenn du die Bilder zur eigenen Verwendung machst, bestimmst alleine du, was erlaubt ist und was nicht. Solltest du aber Bilder für einen Auftraggeber erstellen, wirst du je nach Auftraggeber mehr oder weniger Freiheiten haben.
Authentisch sein
Im Rahmen meiner Wanderbeschreibungen will ich authentisch sein. Ich will keine Landschaft vorgaukeln, die es so dann möglicherweise gar nicht zu sehen gibt. Sind also Freileitungen oder Sträucher beim Fotografieren unausweichlich mit auf dem Bild, dann ist das eben so.
Wie stark ein Bild nachbearbeitet wird, um es so wirken zu lassen, wie man die Landschaft während der Aufnahme wahrgenommen hat, hängt auch stark von den Emotionen des Fotografen ab. Was der eine als völlig überzogen sieht ist für die andere nach wie vor eine authentische Abbildung der vorgefundenen Situation.
(Verschwimmende) Grenzen der Authentizität
Es ist nicht immer ganz so klar, was noch als authentisch gilt oder nicht. Hier ein paar Beispiele:
- Wenn mir ein Ast einen herrlichen Ausblickt vermiest – darf ich diesen Ast dann zu Seite biegen?
- Darf ich eine hässliche Mülltonne via Bildbearbeitung aus dem Bild entfernen, die sich am Wegesrand befindet?
- Darf ich eine Stromleitung wegstempeln?
- Darf ich bei der Lichtstimmung ein wenig nachhelfen, weil der Sonnenuntergang ausgerechnet an dem Tag so blass rüberkam?
- Darf ich Wolken dramatisieren? Das beginnt schon mit der Verwendung eines Grau-Verlaufs-Filters!
- Darf ich in einen allzu blauen Himmel Wolken „montieren“?
- Wie ist das mit Motiv-Programmen der Kameras, die die Sättigung oder den Kontrast stark erhöhen?
- Und was ist mir einer Langzeitbelichtung, die Himmel und Wasseroberflächen verändert?
Gerade auch im Tourismus keine unwichtige Frage, die aber nicht alle gleich beantworten werden. Landschaft wird so auch schon einmal schöner dargestellt, als sie in Wirklichkeit ist.
Es kann übrigens auch vom Auftraggeber abhängen, wie man ein Bild nachbearbeiten muss, um dessen Auftrag zur Zufriedenheit erfüllen zu können. Wie zum Beispiel Stromleitungen zu entfernen oder die Lichtstimmung zu pimpen. Ob das dann aber noch authentisch ist? Genau hier sind die Grenzen nicht mehr so einfach zu ziehen.
Fotografie und Kunst
Kunst darf fast alles. Dramatische Überzeichnung von Einzelteilen, abschwächen einzelner Bereiche. Bis zum Entfernen oder gar hinzufügen neuer Bildteile. Eine Kapelle würde vor diesem dramatischen, selbst gepimpten Sonnenuntergang super hinpassen? Na dann – rein damit!
Bildbearbeitung & Fotomontagen
Wer seine Fotografien grundsätzlich im Bereich der Kunst angesiedelt sieht, der wird auch kräftig am (Zwischen)Ergebnis aus der Kamera drehen. Da wird das Bild nur noch als Ausgangsprodukt gesehen. Als Basis für ein Gesamtkunstwerk, welches mit Filtern der Bildbearbeitung oder Elementen aus früheren Bildern angereichert wird.
Das obige Bild ist eine Montage aus 4 Einzelbildern. Als authentische Landschaftsfotografie geht das wohl nicht mehr durch.
Resüme
Von möglichst authentisch bis zu alles ist erlaubt, also Bäume entfernen (nicht mit der Motorsäge, nur am Bildschirm), Altare in die Landschaft setzen oder den Himmel austauschen – die Meinungen des Erlaubten gehen weit auseinander. Grundsätzlich ist alles erlaubt, was Spaß macht und nicht gegen die guten Sitten verstößt.
Ob ein „Werk“ dann als passend angesehen wird, hängt vom Verwendungszweck und auch vom Geschmack des Betrachters ab.
Bist du eher der Künstler oder jemand, der sich als authentischer Fotograf sieht?
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