Zuletzt aktualisiert am 26. März 2023 um 8:45
Auf der Suche nach Normalität oder: „Das haben wir schon immer so gemacht!“.
Diese verdammten Nachhaltigkeit-Schreier nerven mich nur noch! Wenn es nach denen geht, sollten wir alle wieder zurück auf den Baum. Mit selbst gebastelten Bast-Röckchen. Die Wirtschaft in Grund und Boden stampfen und alle technischen Errungenschaften ad acta legen, denn diese würden angeblich ja ohnehin nur unsere Erde kaputtmachen. Vertrauen in den technischen Fortschritt, der all unsere (vermeintlichen) Probleme lösen kann – Fehlanzeige!
Disclaimer: diese Artikel kann Spuren von Satire enthalten!
Gelebte Normalität
Fast Fashion – ich will schick sein!
Früher gab es nur eine Sommer- und eine Winter-Kollektion. Wie rückständig! Ein halbes Jahr die gleiche Mode. Was für ein Einheitsbrei, was für eine Beleidigung für unsere Augen!
Dank der stets wachsamen Bekleidungsindustrie ist das zum Glück – zumindest für uns „zivilisierte“ Menschen – endlich Geschichte. Unter dem Begriff Fast-Fashion hat die Industrie endlich einen Weg gefunden, uns täglich mit neuen Designs zu überraschen, statt nur 2x im Jahr.
Und dank Industrialisierung und Auslagerung der Fertigung nach Bangladesch und fleißigen Kinderhändchen, das alles auch noch zu einem unschlagbar günstigen Preis! Endlich kannst du dir das Waschen sparen, denn wegen der 10 € lohnt sich das doch gar nicht mehr. Das ist doch auch irgendwie nachhaltig, weil man dadurch ja weniger Waschmittel braucht. Fast-Fashion – nachhaltig und schick!
Ganz ehrlich? Die Kinder in den armen Ländern sollten doch froh sein, wenn sie durch ihre Arbeit das Überleben ihrer Familie sichern können. Mit meinem Kauf unterstütze ich diese armen Menschen ja nur!
Der jährliche Flug in den Urlaub
Malediven, Futschi (schönes Wortspiel, oder?) oder wie die Inseln alle heißen – das muss ich als Mensch einfach alles einmal live gesehen haben! Schließlich lebe ich nur einmal. Das lasse ich mir von diesen naiven Öko-Spinnern nicht vermiesen. Das ist mein Leben und meine Freiheit, die mir nichts und niemand nehmen kann! Schließlich leben wir in einer Demokratie!
So blöd werde ich sein, und mich in einen überfüllten und sauteuren Zug setzen! Und überhaupt: schon einmal einen Zug gesehen, der dich auf eine Insel bringen kann? Na also!
Lass‘ mich in Zukunft verdammt noch einmal mit deinem sinnlosen „Fußabdruck“-Geschwätz in Ruhe. Ein Fußabdruck, der von ein paar völlig Spaß befreiten Menschen ins Leben gerufen wurde! Nachhaltig reisen – das geht nicht!
Gib Gas, ich will Spaß!
Autoverkehr – alle technischen Fortschritte der letzten Jahre wurden in größere Autos und mehr PS investiert. Und das ist auch gut und richtig so! Wer will schon mit einer lahmen Kiste durch die (angeblich gefährdete) Landschaft gurken?
Die Deutschen finde ich da einfach spitze, die ziehen ihr Ding durch! Die kümmern sich nicht um diese Möchtegern-Weltverbesserer, die ständig wegen der fehlenden Geschwindigkeitsbeschränkung mit dem Finger auf sie zeigen! Wo sonst kann man noch so herrlich ungestraft den wohlverdienten PS-Boliden so richtig schön ausreizen? Das Gaspedal bis zum vorgesehenen Anschlag ganz durchdrücken?
Und an alle SUV-Hasser da draußen: ihr seid doch nur neidisch, weil ihr euch kein vernünftiges Auto leisten könnt! Neue SUVs verbrauchen um Längen weniger Treibstoff als die lahmen Enten der 70-er Jahre. Also reg‘ dich ab! Gerade in der Innenstadt findet man kaum noch Parkplätze und da kommt dann mein SUV ins Spiel: mit welchem Auto kannst du sonst problemlos auf Gehsteigen und Radwegen parken?
Zudem bin ich in einem SUV sehr viel sicherer. Dein lächerlicher Zoe wäre für mich nicht mehr als eine Mücke auf der Scheibe!
Die tägliche Portion Fleisch
Der Mensch ist nur deshalb zu einer so überlegenen Spezies herangewachsen, weil er sich von Fleisch ernährt hat. Unzählige Studien von äußerst namhaften Wissenschaftern beweisen das. Hätte der Mensch bis heute nur Grünzeug zu sich genommen, würde er jetzt ziemlich sicher gemeinsam mit den Kühen und Schafen dümmlich sabbernd vor sich hin grasend auf einer Wiese weiden.
Dank Massentierhaltung ist Fleisch endlich so billig geworden, dass es sich zumindest in unseren Breiten jeder täglich leisten kann. Und das ist auch gut so! Verantwortung übernehmen, Tiere so behandeln, dass man selber eines sein will? So ein blöder Spruch kann nur von einer grünen Öko-Tussi im Batik-Kleid kommen!
Böller & Silvester-Feuerwerk
Das Feuerwerk – wer liebt es nicht? Wunderschöne Lichter am Himmel fürs Auge und Böller für die Ohren! Der Geruch der abgebrannten Raketen in der Nase. Ein Genuss für alle Sinne!
Was kümmern mich da Hunde und Katzen? Wenn sie darunter leiden, dann sollen sie doch einfach die Ohren anlegen oder in den Keller gehen! Und die Bauern müssen sich wegen der paar Holzstäbchen in der Wiese auch nicht aufregen, das ist ja alles schnell aufgeräumt.
Wie? Wegen der Krankenhäuser? Wegen der paar Stunden einmal etwas weniger schlafen ist sicher kein Grund, eine so schöne Tradition aufzugeben! Zumal eh fast nur alte Leute dort liegen, die sich in der Nacht auch so oft stundenlang schlaflos im Bett wälzen. Selbst der Salzburger Bürgermeister wollte 2021/22 „keine Spaßbremse“ sein und den Menschen „ein wenig Normalität zurückgeben“.
Und an die Umwelt-Kasper: wegen des einen Prozent, was so ein herrliches Feuerwerk zur jährlichen Feinstaub-Belastung beiträgt, geht die Welt auch nicht gleich unter! Also wischt euch die Krokodils-Tränen aus dem Gesicht – ist ja nur 1x im Jahr.
Was versteht man unter „Normalität“?
Gute Frage, die aber einfach beantwortet werden kann.
Normalität bezeichnet in der Soziologie das Selbstverständliche in einer Gesellschaft, das nicht mehr erklärt und über das nicht mehr entschieden werden muss. Dieses Selbstverständliche betrifft soziale Normen und konkrete Verhaltensweisen von Menschen.
Wikipedia
Passt perfekt zur Aussage „Das haben wir schon immer so gemacht!“. Man muss die Verhaltensweise also nicht erklären, „Des passt scho so!“ („Das ist so schon in Ordnung!“) würde der gelernte Österreicher sagen.
Normalität – Flucht vor dem Tiger
Evolutionär bedingt scheint unser Gehirn nach wie vor auf „Flucht“ programmiert zu sein. Intuitiv – also aus dem Bauch heraus – neigen wir deshalb dazu, alte und bewährte Gewohnheiten beizubehalten.
Unser Gehirn sucht bei jeder Anforderung nach Mustern, was den Entscheidungsprozess immens beschleunigt und vereinfacht. Das hat früher über Leben und Tod entschieden. Das Rascheln im Gebüsch könnte ein Tiger sein, deshalb wurde einfach losgerannt, was das Zeug hielt. Ohne vorher darüber nachzudenken, ob das Geräusch möglicherweise auch von einer Maus stammen könnte. Besser einmal zu viel gerannt, als einmal zu wenig.
Rationales Denken ist anstrengend und es dauert auch sehr viel länger, bis man damit zu einer Entscheidung kommt. Hier werden im Laufe des Entscheidungsprozesses auch die Konsequenzen unseres Handelns und verschiedene Handlungsmöglichkeiten gegeneinander abgewogen. Unser Gehirn verbraucht dabei auch mehr Energie – was es grundsätzlich vermeiden will.
Das haben wir schon immer so gemacht …
… und deshalb muss das so schon seine Richtigkeit haben! Eine typische Killerphrase, die zu häufig nur einen Zweck hat: Einer potenziell anstrengenden Diskussion über die Konsequenzen des eigenen Handelns aus dem Weg zu gehen. (→ 11 Klimawandel-Totschlagargumente und wie du damit umgehen kannst)
Es braucht ein Umdenken
Die Rahmenbedingungen, die eine Handlungsweise früher als total okay und normal eingestuft haben, können sich im Laufe der Zeit verändern. Und aus diesem Grund kann eine alte Gewohnheit, etwas „völlig normales“, zu etwas werden, was unter aktuellen Bedingungen einfach nicht mehr seine Gültigkeit hat. Schlimmer noch: sogar zu einer schädlichen Handlung werden.
Wir leben auf Kosten anderer
Während andere hungern und Kinder für unsere „wohlverdiente“ Kleidung oft knöcheltief barfuß in giftigen Farbstoffen stehen und händisch unsere stone-washed Jeans schleifen, greifen bei uns nach wie vor viel zu viele völlig gedankenlos ins Regal.
Pochen auf ihr Recht, ihr einziges Leben in vollen Zügen (oder richtiger Flugzeugen) zu genießen und von Insel zu Insel zu hoppen.
Dabei ist für viele die größte Leistung in ihrem Leben, hier geboren zu sein. Bedenke: Du könntest durchaus auch in Syrien zur Welt gekommen sein!
Wir sollten uns alle im Klaren sein, dass unser Wohlstand zu einem sehr großen Teil auf der Armut von anderen aufgebaut ist und nur sehr bedingt mit unserer „großen Leistung“ zu tun hat. Wir alle könnten uns sehr viel weniger leisten, wenn diese Menschen nicht für einen Hungerlohn täglich bis zu 14 Stunden für uns schuften würden.
Wenn diese es dann wagen, an unsere Grenzen zu klopfen, werden sie abwertend als Wirtschafts-Flüchtlinge tituliert, die hier bei uns nichts zu suchen hätten.
Wer mehr Kohle hat, verursacht mehr CO2
Die reichsten 10 % unserer Welt verursachen über die Hälfte der weltweiten Treibhausgasemissionen. Die ärmeren Länder, die nur sehr wenig zur Klimakrise beigetragen haben, leiden von den Folgen wie Dürre oder Überflutungen allerdings am meisten. Fair und sozial geht anders!
Das reichste % verbratet gar 15 % der weltweiten Emissionen. (Quelle: kontrast.at | „Die reichsten haben den größten CO2 Ausstoß“)
Eine Yacht oder ein Privatflugzeug, Villen mit mehreren Bädern, Sauna im Keller und einem beheizten Outdoor-Pool: all das ist ein Must-have für den VIP. Man kann es sich schließlich leisten und hat auch hart dafür gearbeitet (oder hat andere hart für sich arbeiten lassen). Und das muss man schließlich auch zeigen. Der Nachbar hat eine größere Yacht oder mehr Autos als man selbst in der Garage? Dem gilt es natürlich unbedingt gegenzusteuern!
Einer der größten Visionäre unserer Zeit, namentlich Elon Musk, der der Welt mit dem Voranbringen der Technologie der E-Autos sicher auch etwas Gutes getan hat, lässt seine reichsten Freunde nun ins Weltall fliegen. Die neue Normalität für jene, die es sich leisten können?
Beispiel für neue Normalität – mit dem Zug nach Wien
Wer schon immer mit dem Auto von Salzburg nach Wien gefahren ist, wird die „hohe Flexibilität“ betonen, die er oder sie mit dem Auto in Wien dann genießen kann. Der oftmalige Stau, die nervige Parkplatzsuche und die insbesondere in einer Stadt eher geringere Flexibilität (Parkplatzsuche) werden dabei erfolgreich ausgeblendet.
Der Kauf eines Zug-Tickets wird im Gegenzug zum Drama hochstilisiert. Und außerdem wäre das auch viel zu teuer.
Bis man dann einmal in den Zug gestiegen ist und schon die Fahrt mit einem Buch in der Hand als Entspannung wahrnimmt. Und in Wien dann feststellt, wie entspannend es ist, eben gerade kein Auto dabeizuhaben, für das man erst einen (oft nicht gerade günstigen) Parkplatz suchen muss.
Am Ende bleibt auch noch das gute Gefühl, etwas für die Umwelt getan zu haben.
Das ist nur eines von sehr vielen Beispielen, in denen nachhaltiges Verhalten zu einer verbesserten Lebensqualität führt.
Fazit
Wir sollten vieles überdenken, was wir bisher als „normal“ bezeichnet haben, davon bin ich überzeugt.
Denn nur so können wir es schaffen, die Klimakrise zu bewältigen. Denn mittlerweile tun sich aufgrund der erdrückenden Faktenlage selbst die größten Leugner und Skeptiker schwer, den von Menschen befeuerten Klimawandel abzustreiten. Kopf in den Sand stecken ist auf Dauer nicht durchzuhalten.
Hallo Horst, wie immer ein Beitrag der zum Nachdenken anregt. Ich setze vieles davon schon seit Jahren um, trotzdem bin ich weit von einem klimaneutralen Fußabdruck entfernt. Ganz liebe Grüße, Claudia
Servus Claudia!
Vielen Dank für deine Rückmeldung!
Ja, genau das soll der Beitrag auch tun. Er soll kein Finger-Pointing sein, sondern das ein oder andere infrage stellen. Es geht nicht darum, sofort perfekt zu sein, sondern in sich gehen und langsam aber stetig ein wenig an sich arbeiten, dann ist schon ein sehr großer Schritt getan.
Liebe Grüße
Horst