Zuletzt aktualisiert am 24. Januar 2021 um 11:41
Digital Detox spielt im Bullshit Bingo aktuell ganz in der obersten Liga. Aber was soll nun dieses Digital Botox sein? Der neue Star am sozialen Bullshit-Bingo Himmel?
Der Vormarsch und die Präsenz digitaler Dienste und Geräte haben mittlerweile ein enormes Ausmaß angenommen. Das war mir schon einmal einen Artikel wert: Digital Detox – digitale Entschlackung.
Inhalt
Zahlen und Fakten
Laut Statista surfen 84% der Österreicher regelmäßig im Internet, von den 8,7 Millionen sind 3,9 Millionen auf Facebook aktiv (Zahlen von 2020), mehr als die Hälfte davon mehrmals täglich. Auch Instagram hat mittlerweile 2,4 Millionen erreicht. Und so wird der Griff zum Smartphone zur Gewohnheit.
Das Gegenüber beim Essen wird so oft auch zum Statisten. Einfach nur anwesend, um die %-Zahlen der „echten“ sozialen Kontakte nicht komplett in den Keller rasseln zu lassen. Am Tisch häufig nur noch Goldfisch-Gespräche („Sorry, was hast du gerade gesagt?“).
FOMO
Das Bedürfnis, jedes Ereignis und jeden Bissen seines Frühstücks zu dokumentieren, scheint ungebrochen. Insta-Stories und Co sei Dank ist das ja alles recht einfach machbar. Dazu kommt noch FOMO – Fear Of Missing Out. Also die Angst, etwas zu verpassen.
Auch ich habe für mich festgestellt, dass mich die sozialen Medien immer mehr im Griff zu haben scheinen und mich zu ihrem Sklaven machen. Obwohl ich kein „Insta-Sternchen“ bin (zu alt, zu wenig hübsch) und mein Essen auch in nicht fotografiertem Zustand genießen kann. Pingt aber einer der zig installierten Messenger, dann bewegt sich meine Hand schon fast unbewusst binnen kürzester Zeit zum in Griffweite liegenden Smartphone.
Zwingen dir die sozialen Medien an Equipment nur dein Smartphone auf, so fühle ich mich als Blogger zusätzlich dazu bemüßigt, immer mehr an Foto und neuerdings auch Videoausrüstung mitzuschleppen. Auch hier wäre eine Einschränkung durchaus angebracht.
Finger weg von den sozialen Medien!
Und so darf es nicht weiter verwundern, dass es langsam zu einer Gegenbewegung kommen musste. Eine wachsende Anzahl an Leuten vermisst die Gespräche von früher, bei denen man noch das gute Gefühl hatte, in dem Moment dem anderen wichtiger zu sein, als alles andere. Mit Herz und Verstand ganz bei dir.
Stattdessen alle paar Minuten der Blick aufs Smartphone, welches „vorsichtshalber“ am Tisch ausgebreitet liegt, um nur ja nichts zu versäumen. Das fühlt sich einfach nicht gut an. Ganz davon abgesehen, dass das vom Smartphone hell erleuchtete Gesicht auch optisch wenig hermacht. Vielleicht sollte man ein ignorantes Gegenüber genau auf diese Tatsache hinweisen?
Es kommt zum Widerstand. Die Aufrufe zur digitalen Entschlackung werden unüberhörbar, ja teilweise fast schon wieder lästig. Unzählige Webseiten sprießen aus dem Boden – und wie lustig – über die sozialen Medien beworben. Naja, dort erreicht man halt seine „Klientel“ am besten. Die sind ja eh immer online. Und so wird auf Teufel komm raus gewittert, dass man dem Smartphone und dem ganzen digitalen Wahnsinn doch den Rücken kehren sollte.
Wenn ich merke, dass jemanden das Smartphone wichtiger ist, als meine Anwesenheit, ziehe ich mich zurück. Zumindest innerlich. Das Gegenüber wird dann auch mir immer weniger wichtig. Ich will kein „Sozial-Kontakt-Statist“ sein. Dazu ist mir meine Zeit einfach zu schade.
Und was soll jetzt dieses Digital Botox sein?
Das gibt es nicht. Zumindest weiß ich nichts davon. Mir ist der Begriff in den Sinn gekommen, als ich während eines Kurzurlaubes in Mühlbach am Hochkönig selbst bei eher miesem Wetter meine Foto-Ausrüstung und die GoPro mit auf den Weg genommen habe.
Wäre es nicht lustiger gewesen, einfach ganz ohne schweren Fotorucksack meine jungfräulichen Spuren in den Schnee zu ziehen? Ohne dass meine Kleidung unter dem Rucksack schweißnass wird, weil der Fotorucksack nicht atmet? Ohne Gedanken darin zu verschwenden, was man selbst bei diesem Wetter halbwegs ansprechend einfangen könnte?
Doch, ich denke schon!
Zumal der Einsatz der Kamera ohnehin kaum möglich gewesen ist, weil durch den Schneefall die Linse ständig Tropfen auf sich gesammelt hat. So habe ich dann eine nahe gelegene Hütte angesteuert – mit dem Ziel, unter deren geschützten Dach fotografieren zu können. Auf dem Weg dahin ist mir dann der Begriff Digital Botox in den Sinn gekommen.
(Ein wenig) Verrückt bin ich ja schon! Dokumentieren mit aller Gewalt. Keine Spur von Digital Detox. Künstlich aufgespritzte Digitalität eben. Von Irgendetwas hat man mir wohl einmal etwas zu viel ins Gehirn gespritzt. Digital Botox.
Dokumentieren mit Bildern – das ist etwas, wo ich mich einfach nicht zurückhalten kann. Die anschließende Spannung dann vor dem PC, ob die Bilder am Ende dann auch das zeigen, was ich mir vor Ort vorgestellt habe. Das macht mich süchtig.
…
…
Sorry, war kurz weg. Es hat so ausgesehen, als ob die Sonne durch den Nebel brechen könnte. Und da musste ich jetzt schnell mein Stativ aufbauen, um ein schönes Foto mit Abendstimmung einfangen zu können.
Die Sonne hat es dann aber leider doch nicht ganz geschafft. Evtl. hätte ich ja doch lieber gemütlich ein Gläschen Wein trinken sollen, anstatt meine Zeit am doch recht kalten Balkon zu verbringen?
In diesem konkreten Fall war das aber meine ganz persönliche Entscheidung ohne jemand anderen dadurch zu stören oder darunter leiden zu lassen. Ich war an diesem Wochenende alleine unterwegs. Die Situation wäre eine ganz andere gewesen, wenn meine Frau mit gewesen wäre. Dann wäre das Gläschen Wein mit meiner Frau natürlich als Sieger hervorgegangen.
Mein dringlicher Appell
Mein Appell also am Ende: wenn du mit Menschen unterwegs bist oder dich mit ihnen unterhältst, dann schenke ihnen deine volle Aufmerksamkeit! Sie haben es sich verdient. Schließlich opfern sie genau in diesem Moment ihre wertvolle Lebenszeit für dich! Und das solltest du würdigen und nicht durch einen ständigen Check deiner FB Timeline mit Füßen treten!
Einen sehr guten Artikel was Smartphones mit uns anstellen, findest du in Sinah Edhofer’s The Black Shirt Blog: Smartphone-bedingte Gesprächspausen.
Wahrer und sehr amüsant formulierter Post. Ich häng ja auch viel zu viel am Handy, aber wenn ich mit Leuten unterwegs bin, wird es in der Tasche verpackt. Gibt für mich nichts unhöflicheres, als das Smartphone rauszuholen beim gemeinsamen Gespräch. Auch auf Wanderungen packe ich das Handy weg und vergesse dann meist, Fotos für Instagram Stories zu machen. Tja, blöd gelaufen, dafür hab ich den Moment genossen :D
Lg Sabrina
PS: Am Handy hat dein Formular ein paar Darstellungsproblemchen
Servus Sabrina!
Danke – freut mich, wenn dir der Beitrag gefallen hat!
Moment genießen bringt am Ende während einer Wanderung wohl auch mehr, als alles zu ver-instagramen oder zu dokumentieren. Da hat der Horst auch noch in sich zu gehen und die richtige Balance zwischen dokumentieren zu wollen und Wandergenuss zu finden. Derzeit bin ich zu sehr auf das Dokumentieren fokussiert.
Danke auch für den Hinweis zum Formular am Smartphone. Habe mir das gerade angesehen. Auf meinem passt es mehr oder weniger. Unschön ist aber, dass nur etwa die halbe Bildschirmbreite genutzt wird – das werde ich mir ansehen.
Meinst du das oder hast du noch andere Probleme gehabt?
Have fun
Horst
Hallo Horst!
Netter Artikel :-) Hat mich sogar dazu bewegt, selbst etwas zu schreiben!
Dass das Smartphone irgendwie den Platz realer Menschen eingenommen hat, ist ein ganz seltsames Phänomen. Besonders im Restaurant erstaunt es mich immer wieder. Mein Partner und ich gönnen uns zu ganz besonderen Anlässen, beispielsweise Jahrestag, Valentinstag o.ä. ein nobles, romantisches Dinner in einem gehobenen Restaurant. Da kostet das Essen für 2 tutti completti mal eben 150 Euro oder mehr, je nach dem was man halt so nimmt. Selbst DA, an solch einem (teuren) Ort kann man beobachten, dass bei manchen Menschen der Partner nur das fünfte Rad am Wagen ist, denn eigentlich hat der andere Part sein Date mit seinem Handy. Warum nimmt man denn überhaupt solche Mühen auf sich mit Anzug und Abendkleid, Tischreservierung etc, wenn sich das gemeinsame Erlebnis von einer Schüssel Müsli am heimischen Tisch nicht wirklich unterscheidet? Jetzt könnte man natürlich meinen, ohne Smartphone würde man sich nicht so benehmen und die Anwesenheit des Gegenübers zu schätzen wissen…ha! falsch gedacht! Da packt man einfach die Tageszeitung aus und liest die am Tisch, während beide schweigend ihr Essen…ja, was? genießen? Nicht nur den Kellnern fielen die Augen aus dem Kopf.
Die Gesellschaft braucht definitiv mehr Anstand und sollte die gemeinsam verbrachte Zeit mit anderen Menschen mehr zu schätzen wissen – auch am heimischen Tisch mit Müsli ;-). Eigentlich echt traurig, dass solche Artikel überhaupt nötig sind…
Servus Selena!
Vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar!
Ja, du hast bestimmt recht, wenn du schreibst, dass das Smartphone wohl nicht der einzig böse in diesem „Spiel“ ist. Denn am Ende geht es rein um Wertschätzung und diese wächst nicht zwangsläufig mit dem Abstand zum Smartphone ;-) .
Mit „mehr Anstand“ bringst du es auf den Punkt. Es geht dabei nicht darum das Smartphone samt sozialen Medien generell zu verteufeln, sondern um den richtigen Einsatz.
Ich bin ja schon lange der Meinung, dass der Umgang mit sozialen Medien (in dem Zusammenhang auch mit den Daten / mit dem was man in die weite Welt hinausposaunt) unbedingt in die Schulen gehört. Das Thema wird in Zukunft nicht einfacher werden und so sollte der Umgang damit in das Rüstzeug eines jeden Menschen gehören.
Have fun
Horst